BUCH DER FREUNDE XX

Der vollkommen Besonnene heißt der Seher.
Als irdische Wesen streben wir nach geistiger Ausbildung – nach Geist überhaupt.
Als außerirdische, geistige Wesen, nach irdischer Ausbildung – nach Körper überhaupt.
Nur durch Sittlichkeit gelangen wir beide zu unsern Zwecken. Ein Dämon, der erscheinen kann – wirklich erscheinen – muss ein guter Geist sein. So wie der Mensch (der wirklich Wunder tun kann) – der wirklich mit den Geistern Umgang pflegen kann. Ein Mensch, der Geist wird – ist zugleich ein Geist, der Körper wird. Diese höhere Art von Tod, wenn ich mich so ausdrücken darf, hat mit dem gemeinen Tode nichts zu schaffen – es wird etwas sein, was wir Verklärung nennen können.
Der jüngste Tag wird kein einzelner Tag, sondern nichts als diejenige Periode sein, die man auch das tausendjährige Reich nennt.
Jeder Mensch kann seinen Jüngsten Tag durch Sittlichkeit herbeirufen. Unter uns währt das tausendjährige Reich beständig. Die Besten unter uns, die schon bei ihren Lebzeiten zu der Geisterwelt gelangten – sterben nur scheinbar; sie lassen sich nur scheinbar sterben – so erscheinen auch die guten Geister, die bis zur Gemeinschaft mit der Körperwelt ihrerseits gelangten, nicht, um uns nicht zu stören. Wer hier nicht zur Vollendung gelangt, gelangt vielleicht drüben – oder muss eine abermalige irdische Laufbahn beginnen.
Sollte es nicht auch drüben einen Tod geben, dessen Resultat irdische Geburt wäre.
So wäre das Menschengeschlecht kleiner – an Zahl geringer, als wir dächten. Doch es lässt sich auch noch anders denken.
Gespenster – indirekte, falsche, täuschende Verklärung – Resultat der Verfinsterung. Nur dem Weisen, dem schon hienieden Verklärten, erscheinen verkörperte Geister.
Friedrich von Hardenberg/Novalis, Naturwissenschaftliche Studien, 1798 – 1799.

 

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